Finanzexperten trotzen Crash-Angst

Die Anleihekurse sind ausgereizt, Gold läuft seit drei Jahren nicht mehr und Immobilien sind mittlerweile teuer. Doch kann man noch auf Aktien setzen, wo das Wort "Crash" schon über das Parkett geistert? teleboerse.de fragt drei Finanzexperten.

teleboerse.de: In den zurückliegenden 14 Jahren haben wir an den Aktienmärkten bereits drei Crashs gesehen: 2000 bis 2003 das Platzen der Dotcom-Blase, 2008 die Lehman-Pleite mit anschließender Weltwirtschaftskrise und 2011 die globale Schuldenkrise. Macht alle viereinhalb Jahre einen schweren Kurseinbruch. Sind wir 2015 dafür wieder reif?

Uwe Günther: Ja, das sind wir. Statistisch und bewertungsmäßig, politisch und makroökonomisch sind die Weltbörsen „reif“ – und damit stark anfällig für vorher nicht identifizierbare Auslöser. Eine Korrektur wäre aber nicht schlimm, sondern durchaus gesund.

Holger Knaup: Im zweiten Punkt gebe ich Ihnen Recht. Crashs werden in der Regel durch exogene Schocks oder schwarze Schwäne ausgelöst, also durch Ereignisse, die wir vorher nicht kannten oder erahnten. Damit ist ein Crash zunächst einmal nicht prognostizierbar. Solange die Notenbanken die Märkte mit ausreichend Liquidität versorgen und ihre Zinspolitik am Wirtschaftswachstum ausrichten, ist ein Crashszenario aber nur mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit belegt.

Thomas Wukonigg: Wir sind für Aktien optimistisch. In den USA beginnt 2015 ein Vorwahljahr. Erfahrungsgemäß zeichnen sich Vorwahljahre durch einen starken Aufwärtstrend in den ersten sechs Monaten aus. Die zweite Jahreshälfte verläuft dagegen tendenziell eher unruhig. Da sich der Dax an den US-Märkten orientiert, ist es wahrscheinlich, dass der deutsche Aktienmarkt zumindest in der ersten Jahreshälfte ähnlich läuft wie der amerikanische – also wahrscheinlich fester. Wir halten aber zunehmende Schwankungen mit zwischenzeitlich stärkeren Rückschlägen für denkbar, ein Crash ist dagegen unwahrscheinlich.

Aktuell bereiten der Absturz des russischen Rubels und des Aktienmarkts in Moskau den Finanzmärkten große Sorgen. Hier wird sogar schon über die Zahlungsunfähigkeit des Landes spekuliert. Wie schlimm schätzen Sie die Lage in Russland ein und was bedeutet das für die internationalen Finanzmärkte?

Knaup: Die Währungskrise eskaliert. Denn mit dem Ölpreis fällt die Haupteinnahmequelle des Landes weg. Die nun auf 17 Prozent angehobenen Leitzinsen bedeuten den sicheren Weg in eine schwere Rezession. Zumindest ein Schreckensszenario scheint aber noch weit entfernt: ein Staatsbankrott. Denn der russische Staat ist mit zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung kaum verschuldet - zu zwei Dritteln zudem in Rubel. Außerdem kann Moskau immer noch auf gewaltige Devisenreserven von 420 Milliarden Dollar zurückgreifen. Aber: Die Situation bleibt extrem angespannt. Banken, allen voran französische, italienische und österreichische, haben hohe Engagements in Russland.

Wukonigg: Das ganze Umfeld einschließlich der Ölpreispolitik der OPEC ist stark politisch geprägt und damit kaum prognostizierbar. Die wirtschaftlichen Fakten könnten aber zur Beruhigung beitragen. Russland verfügt dank seiner Öl und Gasexporte über eine starke Handelsbilanz. Außerdem ist Russland bisher nicht auf Netto-Kapitalimporte angewiesen. Die geringe Verschuldung und die hohen Devisenreserven hat Herr Knaup ja bereits erwähnt. Kurzfristig ist die Situation für Russland handelbar. Aber: Eine mögliche Beruhigung steht und fällt mit der Entwicklung in der Ukraine. Putin hat Angst vor einem Gesichtsverlust in der Bevölkerung. Daher fällt es ihm schwer, gegenüber dem Westen klein beizugeben. Wie gesagt: Durch die Politik ist die Entwicklung in Russland kaum kalkulierbar.

Günther: Russland ist eine atomare Supermacht. Außerdem steht der Winter vor der Tür und Europa ist in einem hohen Maß von russischen Gaslieferungen abhängig. Daher sollte niemand eine nachhaltige Destabilisierung Russlands riskieren. Die aktuelle Krise schafft aber durchaus interessante Kaufopportunitäten. Die Stimmung für amerikanische und internationale Energie- und Rohstoffunternehmen ist so schlecht wie noch nie. Gleichzeitig haben die Kurse massiv korrigiert. Das schafft seltene Gelegenheiten für langfristig und kurzfristig orientierte Investoren. Starke Hände greifen hier bereits zu.

2011 haben die Schuldenkrisen und Rezessionsängste die Börsianer in Angst und Schrecken versetzt. Befinden wir uns heute nicht in einer sehr ähnlichen Situation? In den USA, Euroland und Japan steigen die Staatsschulden weiter als wäre nichts gewesen. Was ist heute denn tatsächlich anders als vor gut drei Jahren – nur die Stimmung?

Knaup: Durch das von der EU-Kommission geplante 300 Mrd. Euro schwere Konjunkturpaket und die Aussagen von EZB-Chef Mario Draghi („whatever it takes“) ist das Vertrauen in die Wirtschafts- und Geldpolitik deutlich höher als noch 2011.

Günther: Was wir heute erleben ist sogar das nahezu unbegrenzte Vertrauen von Investoren in den sogenannten Draghi-Put und damit in eine unbegrenzte Risikoabschirmung durch die Notenbanken. Der Glaube an die unbegrenzte Macht von Notenbankern ist allerdings nicht neu und wurde am Ende immer wieder von den Marktkräften ad absurdum geführt. So wird es natürlich auch diesmal sein.

Aktien sind seit 2011 deutlich stärker als die Unternehmensgewinne gestiegen – die Bewertungen haben sich spürbar verteuert. Die Bankanalysten sagen bei ihren Prognosen für das nächste Jahr immer Pi mal Daumen eine Steigerung der Unternehmensgewinne um zehn Prozent voraus. Ist das angesichts der schwachen Entwicklung der Weltwirtschaft tatsächlich realistisch?

Wukonigg: So schwach läuft die Weltwirtschaft ja gar nicht. Für die USA erwarten wir 2015 ein starkes Wachstum. Euroland profitiert von der Abwertung der Gemeinschaftswährung und von den zum Teil stark gefallenen Rohstoffpreisen. Und Japans expansive Geldpolitik übersteigt die der amerikanischen Fed um ein Vielfaches. In den USA hat es die Notenbank ja geschafft, durch Gelddrucken die Konjunktur wieder anzuschieben. Vielleicht klappt das ja in Japan auch. Das ist allerdings die letzte Patrone im Revolver Tokios.

Günther: Dass sich die Aktienkurse in bestimmten Konjunkturphasen stärker als die Gewinne entwickeln ist durchaus normal. Insbesondere nach Marktkorrekturen ist die Vorwegnahme künftiger Gewinnzuwächse in den Kursen geradezu logisch. Heute sind wir aber in einer gänzlich anderen Situation. Von den fünf Treibern für Börsenkurse (Umsatz, Marge, Kosten, Marktanteil und Liquidität) sind die meisten weitgehend „abgegrast“. Nur die weiterhin in nahezu unbegrenzter Höhe verfügbare

Liquidität treibt die Kurse weiter an. Das ist nicht gesund und dürfte eher früher als später wieder zu einem schweren Kater der Weltbörsen führen.

Die Unternehmen können sich zu rekordtiefen Zinsen refinanzieren und haben gleichzeitig massiv restrukturiert. Nennenswerte Kosteneinsparungen sind also kaum mehr möglich. Gleichzeitig läuft die Konjunktur eher schwach. Wo sollen denn nennenswerte Gewinnsteigerungen herkommen?

Knaup: Vor allem energieintensive Branchen können noch Kosten sparen. Die Preise von Rohöl und vielen weiteren Rohstoffen sind 2014 zum Teil massiv gefallen. Hiervon werden zahlreiche Unternehmen profitieren. Auch private Haushalte werden durch den Preisverfall begünstigt. Das eingesparte Geld könnte wieder zurück in die Wirtschaft fließen und damit die Konjunktur nach oben bewegen.

Wukonigg: Außerdem können die Aktienkurse auch ohne Gewinnsteigerungen der Unternehmen weiter zulegen. Aufgrund der Liquiditätsschwemme und Alternativlosigkeit der Aktien ist in den nächsten Jahren damit zu rechnen, dass Anleger bereit sind, deutlich höhere Preise für Aktien zu zahlen. Wir erwarten eine Ausweitung der Bewertungen.

In den zurückliegenden Jahren sind Aktien vor allem in den Regionen gut gelaufen, wo die entsprechende Notenbank den Geldhahn aufgedreht hat. Wird 2015 das Jahr europäischer und japanischer Aktien?

Wukonigg: Den europäischen Unternehmen fällt es bei einem schwachen Euro leichter, ihre Produkte und Dienstleistungen in das außereuropäische Ausland zu verkaufen. Außerdem sind europäische und auch deutsche Aktien im Vergleich zu den US-Titeln deutlich günstiger bewertet. Bei Japan sieht es für den Anleger aus Euroland etwas anders aus. Hier werden mögliche Kursgewinne durch den Kursverfall des Yen gegenüber dem Euro aufgefressen. In Japan zu investieren ist eine fifty-fifty Chance und hat damit ein deutlich schlechteres Chancen/Risiko-Profil als Europa und Deutschland.

Günther: Neu geschöpftes europäisches und japanisches Zentralbankgeld macht ja vor Ländergrenzen nicht halt – insofern macht eine globale Betrachtung von Geldströmen und Anlagen weiter Sinn, egal vorher nun gerade die neue Geldinfusion kommt. Unter Berücksichtigung aller bekannten Rahmenbedingungen halten wir prozentual einstellige Kurszuwächse für möglich.

Während die EZB und die Bank of Japan jetzt erst die Druckerpresse so richtig anschmeißen, nimmt die amerikanische Fed bei ihrer Geldpolitik den Fuß vom Gas. Spricht das gegen US-Aktien?

Knaup: Nein. Denn der Impuls der Fed hat ja nachweislich Früchte getragen, die amerikanische Konjunktur wächst wieder spürbar. Sollte der Aufschwung selbsttragend bleiben, spricht das für weiter steigende US-Aktien.

Wukonigg: Historisch betrachtet sind die ersten Phasen einer Zinserhöhung der beste Nährboden für steigen Aktienkurse. Die amerikanische Fed wird voraussichtlich 2015 das erste Mal nach gut zehn Jahren die Leitzinsen anheben. Außerdem handelt es sich bei 2015 - wie erwähnt - um ein Vorwahljahr. Auch das spricht für eine Fortsetzung der Rallye.

Günther: Ich bin da vorsichtiger. US-Aktien sind absolut, relativ und historisch betrachtet sehr ambitioniert bewertet. Dazu kommt der feste Dollar, der internationalen US-Konzernen nicht gerade Rückenwind bei Exporten verschafft. Da stehen auch Gewinnmitnahmen schnell einmal auf der Tagesordnung.

Der Erfolg von Aktienengagements hängt auch immer stark von der Entwicklung der Wechselkurse ab. Wenn sich die Aktie von Google nur seitwärts entwickelt, der Dollar aber um zehn Prozent steigt, verdient der Anleger aus dem Euroraum eben auch zehn Prozent. Was ist beim Verhältnis Euro – Dollar zu erwarten und was bedeutet das für den Aktienanleger?

Knaup: Wir gehen erst einmal davon aus, dass sich das höhere Wirtschaftswachstum in den USA stabilisiert und die Zinsdifferenz insbesondere zum Euro bestehen bleibt. Das sorgt für einen stabilen Geldstrom in Richtung USA, was den Dollar im Vergleich zum Euro weiter stärken sollte.

Wukonigg: Langfristig vielleicht, aber kurzfristig betrachtet hat der Euro gegenüber dem Dollar zu stark abgewertet. Da ist eine technische Gegenbewegung denkbar. Außerdem werden die USA nicht ewig einem weltweiten Abwertungswettlauf zusehen. Wechselkursrisiken können Anleger am besten durch eine höhere Gewichtung von europäischen Aktien reduzieren. Für die sind wir ja auch aus anderen Gründen zuversichtlich.

Günther: Generell sollten Anleger hauptsachlich in den Währungen investieren, in denen Sie ihre Rechnungen bezahlen, ihr Einkommen beziehen und einkaufen gehen. Eine gewisse Fremdwährungsquote macht aber zur Diversifikation grundsätzlich Sinn.

Rund 40 Prozent der Aktienrendite stammt aus Dividenden. Inwieweit sollten Anleger auf eine möglichst hohe Ausschüttung achten?

Wukonigg: Dividenden sind ein wichtiger Risikopuffer, aber nur dann, wenn sie nachhaltig sind, also kontinuierlich ohne größere Kürzungen oder Ausfälle gezahlt werden.

Knaup: Als alleiniges Auswahlkriterium reicht die Dividendenrendite allerdings nicht aus. Denn man darf nicht vergessen, dass der ausgeschüttete Gewinn den Unternehmen für Investitionen nicht mehr zur Verfügung steht. Günther: Anleger sollten grundsätzlich darauf achten, möglichst viele Performancetreiber und Ertragsquellen zu aktivieren. Dazu zählen Zinsen genauso wie Dividenden, Ausschüttungen oder zum Beispiel Mieten.

Was raten Sie Ihren Mandanten: Wie hoch sollten Aktien in einem gut diversifizierten Vermögensdepot gewichtet sein?

Günther: Die Faustformel „100 Prozent minus Lebensalter“ ist sicher eine brauchbare Richtschnur. Nach starken Korrekturen darf der Aktienanteil durchaus

© 2014 NTV

Uwe Günther

Uwe Günther ist Gründungsgesellschafter und Geschäftsführer der BPM - Berlin Portfolio Management GmbH. Außerdem fungiert er als Co-Anlageberater des Mischfonds BPM-Global Income Fund.

Holger Knaup

Holger Knaup arbeitet als geschäftsführender Gesellschafter bei der Vermögensverwaltung Albrecht, Kitta & Co. und ist verantwortlich für das Portfoliound Risikomanagement.

Thomas Wukonigg

Thomas Wukonigg verantwortet bei der Capital-Forum AG u.a. das Portfoliomanagement. Der Bankkaufmann verfügt über 28 Jahre Berufserfahrung. 

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