Psycho-Party an den Aktienmärkten

Anleger agieren stark irrational

Viele Anleger haben offenbar aus den Crashs der Jahre 2000 bis 2003 und 2008/09 nicht viel gelernt. Warnsignale ignorieren sie. Das könnte sich rächen.

Börse und Psychologie hängen bekanntermaßen eng zusammen. Den meisten Investoren ist das Zusammenspiel von Gier und Angst, von Rationalität und irrationalem Handeln bekannt. Im Angelsächsischen gibt es dafür den Begriff „Behavioral Finance“, was nichts anderes als Anlegerpsychologie bedeutet.

Viele Investoren zählen sich selbst zu der Gruppe der rationalen, der überlegten und sorgsam abwägenden Marktteilnehmer – so als seien sie ein sogenannter Homo oeconomicus. In der Realität bewegen sich die Kapitalmarktakteure - das gilt sowohl für Profis als auch für Privatanleger - jedoch in einem Spannungsfeld mit verschiedenen Polen. Die Psychologie nennt das kognitive Dissonanz: „Einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch mehrere Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten hat, die nicht miteinander vereinbar sind. Der Mensch befindet sich im Ungleichgewicht und setzt alles daran, wieder ein Gleichgewicht zu erreichen.“, so lautet die Definition bei Wikipedia.

Dazu lassen sich Beispiele aufführen:

1. Viele Anleger erinnern sich noch an ihre emotionale Verfassung in den Jahren 2000 und 2008, die damaligen Rekordstände der Aktienmärkte und an die anschließenden Abstürze, nachdem sich die damalige Euphorie als „Börsenblase“ erwiesen hatte. Trotz dieses Wissens sind sie heute wieder investiert.

2. „Diesmal ist alles anders“ war wohl der Hauptslogan für die Begründung und Akzeptanz aberwitziger Bewertungskennziffern wie zum Beispiel Cash-burn-Raten während der Dotcom Blase. Trotz dieses Wissens sind sie heute wieder investiert.

3. Heute ist nur ein geringer Teil der immer höheren Bewertungen wie Kurs-Gewinn-Verhältnisse bei vielen Aktien auf tatsächliche Gewinnsteigerungen im originären Geschäft zurückzuführen. Ein immer längerer Schuldenhebel (zum Beispiel für Aktienrückkäufe) hilft, diese Kennzahlen zu verschönern. Trotz dieses Wissens sind sie heute wieder investiert.

4. Unterlassene Abschreibungen, fehlende Pensionsrückstellungen und kreative Bilanzbuchhaltung werden immer häufiger genutzt, um optisch akzeptable Bewertungen zu erzielen. Trotz dieses Wissens sind sie heute wieder investiert.

Ist diesmal wirklich alles anders?

Die gängige Rechtfertigung für die mittlerweile (zu) hohen Bewertungen lautet dieses Mal: Aktien sind angemessen bewertet, weil die Anleiherenditen so niedrig sind. Beim direkten Vergleich der beiden Vermögensklassen sei eine höhere Bewertung von Aktien gerechtfertigt, da Anleihen ja auch historisch hoch bewertet seien, und die zukünftigen Unternehmensgewinne deshalb mit so niedrigen Zinssätzen diskontiert werden müssen. Dieselben Fachleute kritisieren allerdings auch die Aktivitäten der Notenbanken dahingehend, dass diese durch ihre teils unverantwortliche Geldpolitik für die Entstehung gigantischer Fehlallokationen, Rentenblasen und Zombiefirmen verantwortlich wären. Damit steigt die Gefahr, dass die heutigen niedrigen Zinsen nicht die tatsächlichen Risiken der Zukunft decken können.

In den klassischen Bewertungsformeln rechnen Analysten mit dem Marktzins, also dem Gleichgewichtspreis, der sich frei durch Angebot und Nachfrage bilden sollte. Die von der Geldpolitik verursachte Liquiditätsflut sorgt momentan allerdings für einen künstlichen Nachfrageüberhang nach Geldanlagen bei geringer Preissensibilität. Gleichzeitig spricht man dem durch die Notenbanken manipulierten Zins im aktuellen Umfeld seine wesentliche Funktion als Prämie für die Übernahme von Risiken weitgehend ab, was korrekt ist. Insofern erscheint es gefährlich, die hohen Bewertungen mit den künstlich niedrigen Zinsen zu rechtfertigen.

Damit steht die derzeit gängige Bewertungsargumentation auf tönernen Füßen. Würden nämlich die realen Risiken in den Finanzierungskonditionen der Schuldner korrekt eingepreist, und damit die von den Notenbanken verursachten Verzerrungen ausgepreist, stünde nach den klassischen Bewertungsformeln eine massive Neubewertung der Aktienmärkte auf der Tagesordnung – und zwar eine deutlich tiefere.

Diese obskure Bewertungsargumentation funktioniert nur, wenn die Zinsmanipulation durch die Notenbanken langfristig aufrechterhalten werden könnte. Anleger, die eigene Investitionen damit vor sich selbst rechtfertigen, verneinen faktisch die Wirksamkeit ökonomischer Gesetzmäßigkeiten. Berater und Vermögensmanager setzen ihre Kunden einem historisch vielleicht einmaligen Risiko aus, dem keine adäquaten Chancen gegenüberstehen. Die Aufwärts-Normalisierung von Zinsniveaus und Risikoaufschlägen sowie die zwangsläufig damit einhergehende Abwärtskorrektur der Aktienmarktbewertung hat das Zeug zum Vermögenskiller, weil sie Anleihen und Aktien gleichzeitig treffen würde. Die Psycho-Party an den Finanzmärkten droht wieder mit einem schmerzhaften Kater zu enden.

 

Uwe Günther

Gründungsgesellschafter und Geschäftsführer der BPM - Berlin Portfolio Management GmbH.

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